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Die Frage nach einem Scheitern in Afghanistan ist falsch gestellt

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Die Mitteldeutsche Zeitung veröffentlichte am gestrigen Samstag, den 17.03.2012 ein Interview mit dem ehemaligen Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, in dem dieser den Afghanistaneinsatz grundsätzlich als gescheitert bewertet. (Soldatenglück hat u.a. bereits darauf hingewiesen.) Gemessen an den Intentionen, die die westliche Welt für ihr Engagement in Afghanistan formuliert habe, lege die “ziemlich tragische Geschichte” der Afghanistanmission einen baldigen Abzug der internationalen Truppen nahe. Außerdem habe Deutschland, anders als die USA, ohnehin keine global- oder geostrategischen Interessen in dieser Region. Kujat reiht sich damit in den Reigen von Statements zur Lage in Afghanistan seit dem verheerenden Amoklauf des us-amerikanischen Soldaten Bales ein. Während diverse Vertreter des Kabinetts und der Ministerien ein Festhalten an den international vereinbarten Abzugsplänen bekräftigten, zweifelten Vertreter der Opposition, wie beispielsweise der ehemalige Beauftragte der Vereinten Nationen für Afghanistan, Tom Koenigs (BT-Fraktion Bündnis 90/Die Grünen), an den Abzugsplänen bis 2014. Alles in allem stellt sich vor allem nach den irritierenden Aussagen des afghanischen Präsidenten Karsai die Frage nach einer sinnvollen Richtung dieser Debatte. Die Frage, ob wir in Afghanistan gescheitert sind, erscheint mir vor diesem Hintergrund die Problemstellung zu verfehlen.

Fest steht, dass die Bundeswehr in Afghanistan nicht gescheitert ist. Im Rahmen der Möglichkeiten und nach Maßgabe des Bundestagsmandates leistet(e) sie einen vernünftigen und zielstrebigen Einsatz. Sie scheitert nicht aktiv, dennoch werden Ziele, und wird bereits Erreichtes durch die aktuellen Ereignisse über den Haufen geworfen. Die Bundeswehr, wie auch die Außenpolitik und die Strategen scheitern in einem passivischen Sinn; sie werden gewissermaßen gescheitert. Drei Aspekte möchte ich für eine Bekräftigung dieser These herausstellen:

1) Hätte man die aktuelle Entwicklung vorhersagen können?

Unterschiede in Kultur und Mentalität hat man besonders in der Anfangsphase des Afghanistaneinsatzes unterschätzt. Nichtsdestotrotz waren weder die Schandtaten von urinierenden Soldaten, von Koranverbrennungen und Amokläufen noch die darauffolgende Verschärfung und Radikalisierung der Stimmung gegen die westlichen Truppen in einer derartigen Weise zu erwarten. Die aktuelle Entwicklung in Afghanistan macht leider deutlich, wie fragil Langzeitstrategien zuweilen sein können.

2) Was geschieht, wenn wir in Afghanistan nicht mehr erwünscht sind?

Aussagen des afghanischen Präsidenten Karsai, des afghanischen Parlaments oder der afghanischen Medien legen die Vermutung nahe, dass westliche Truppen in einem nie zuvor dagewesenen gesamtafghanischen Konsens nicht mehr erwünscht sind. Dies war nicht immer so, da die zeitweiligen Erfolge des Afghanistaneinsatzes auch von Teilen der afghanischen Bevölkerung anerkannt worden sind. Sollte sich die Stimmung gegen die ISAF allerdings derart negativ darstellen, bleibt in der Tat nichts anderes übrig, als es mit den Worten des Außenministers Westerwelle zu halten und entsprechend zu reagieren: “Wir werden gewiss nicht länger in Afghanistan bleiben als unsere Verbündeten – und als von der afghanischen Seite gewünscht.” (Quelle: Faz.net)

3) Warum können wir über eine Fortführung oder ein Scheitern nicht selbst entscheiden?

Speziell der deutschen Politik und der Bundeswehr sind die Hände gebunden. Klar ist, dass man sich gegen international getroffene Vereinbarungen nicht einfach widersetzen und selbstständig einen verfrühten Truppenabzug durchführen kann. Aber auch ein Verbleiben der deutschen Truppen kann nicht allein entschieden werden. In Afghanistan ist die Bundeswehr auf die militärischen Fähigkeiten der Verbündeten, insbesondere der USA, angewiesen. Man denke nur an die Problematik der Helikopter. Ein Truppenabzug der USA zöge einen Abzug der Bundeswehr notwendigerweise nach sich. Insgesamt ist die deutsche Gestaltungsfähigkeit in der Afghanistanfrage somit eher gering.

Der Ausweg aus dieser Dilemmasituation ist schwierig. Eine Forderung nach dem schnellstmöglichen Abzug ist schnell ausgesprochen. Ebenso das Festhalten am fiktiven Abzugsdatum 2014. Eine Antwort bedarf einer vielschichtigen, zuweilen ambivalenten und komplizierten Abwägungsentscheidung, die auf einen Kontext beruht, den weder die Bundeswehr noch die deutsche Politik aktiv gestalten kann. Strategische Ziele (und damit widerspreche ich der Aussage Kujats, Deutschland besäße in der Region keinerlei Ziele), militärische Erfordernisse, Schutz der eigenen Truppe, das Handeln der Verbündeten, das Handeln der afghanischen Bevölkerung, ethische Abwägungen, Werte und Maßstäbe, all dies spielt in diese Abwägungsentscheidung mit ein.

Albert Camus entwickelte aus dem antiken Sisyphosmythos einst eine Philosphie des Absurden. Absurd ist demnach der Konflikt zwischen der Sinnwidrigkeit des Lebens und der Suche nach Sinnhaftigkeit und sinnvollem Handeln seitens der Menschen. Camus deutet diese Absurdität nicht fatalistisch. Er fordert vom Menschen eine kontinuierliche Abarbeitung einer selbst gewählten Aufgabe zur Erfüllung des Lebensziels. Der Afghanistaneinsatz ist ebensowenig fatalistisch zu beurteilen. Unter Einbezug der aktuellen Lageentwicklung scheint mir daher der eingeschlagene Weg der Politik, die gesteckten Ziele bis 2014 einhalten zu wollen, als der absolut richtige. Dies soll allerdings auch nicht bedeuten, dass man auf andere Entwicklungen in Afghanistan nicht anders reagieren können muss. Es gilt nun abzuwarten und dann gemeinsam mit den Verbündeten abzuwägen.


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